Aus der NZZ vom 19.Juni 2002

In einer Lichtung zwischen hohen Tannen, in der klaren Luft eines hellen Frühsommermorgens, vollzieht sich ein merkwürdiges Schauspiel. Ein Mann mit russigem Gesicht stampft mit seinen Schuhen auf dem äussersten Rand eines schwarzen Hügels. Rauch steigt auf und lässt den Mann nur schemenhaft erscheinen. Dann schlägt er mit einer Schaufel den Rand des Hügels glatt, steigt eine Leiter hinunter und bohrt mit einer Eisenstange kleine Löcher, aus denen sogleich Rauch kriecht. Dann spritzt er mit einem Schlauch Wasser auf den Hügel.

Zwei Wochen rund um die Uhr

Zum 46. Mal, vielleicht auch zum 45. oder 47. Mal, hat Markus Wicki einen Kohlenmeiler angezündet. Am Donnerstag letzter Woche hatte er glühende Kohle ins «Fülliloch» in der Mitte des Meilers geleert, und seither schaut er Tag und Nacht, Nacht und Tag, dass der dampfende Meiler schön gleichmässig abbrennt, aber nicht verbrennt. Rund 14 Tage und Nächte schaut der 34-jährige Bergbauer vom Hof Trachslis in der Luzerner Napf-Gemeinde Romoos regelmässig nach dem Meiler. Alle zwei Stunden steht er nachts auf, steigt auf den rauchenden Hügel, hebt den Deckel zum «Fülliloch» und schüttet zwei Säcke Kohle hinein. Nach zehn Minuten legt er sich wieder zum Schlafen in einen Bauwagen neben dem Kohlplatz.

Vom frühen Morgen bis Mitternacht richtet Wicki all seine Aufmerksamkeit auf den Meiler. Er schaut, wie er «kohlt». Wenn das Feuer im Innern des dampfenden Haufens auf eine Seite wandert, dann macht er dort keine Löcher, um das Feuer auf die andere Seite zu ziehen, damit der Meiler gleichmässig abbrennt.
30 000 Liter Wasser verdampfen beim Abbrennen. Wicki betreut neben dem Meiler auch noch seinen Hof. Am Morgen hat er gemolken und die Kühe auf die Weide getrieben. Kälbermast betreibt er; derzeit besitzt er 20 Kälber und 13 Kühe. In den kommenden zwei Tagen wird er Gülle austragen, «bschütten». Und bei Heuwetter helfe er bei einem Bauern mähen, der ihm jeweils beim Auseinandernehmen des Meilers nach dem Abbrennen helfe, erzählt er. Das sei der schönste Augenblick, wenn der Meiler abgebrannt sei und man schauen könne, wie die «Ware» herausgekommen sei. Rund sechs Tonnen Holzkohle gibt ein Meiler her; diese wird in 750 Säcke abgefüllt und als Grillkohle verkauft. Seit 15 Jahren brennt Wicki zwischen Frühling und Herbst selber Meiler, pro Jahr zwei bis vier. Wicki ist einer von neun Köhlern in Romoos. Es sind die Letzten, die das Handwerk in der Schweiz betreiben.

Gelesen bei der NZZ
http://www.nzz.ch/article88B0S-1.402716